2015/06/12

Aktion: Briefe an einen zehnjährigen Autisten


Auf einem Blog wurde dazu aufgerufen, einen Brief an einen zehnjährigen Autisten zu schreiben, der sein Dasein als Autist (noch) nicht mag. Mehr dazu könnt ihr hier finden. Auch ich habe an dieser Aktion teilgenommen. Hier mein Brief:

Hallo du,

ich bin vor Kurzem auf die Aktion aufmerksam geworden und wollte dir auch ganz unbedingt ein paar Zeilen schreiben.

Ich heiße Nadine und bin 23 Jahre alt. Dass ich Asperger-Autistin bin, habe ich erst mit 21 Jahren erfahren, also vor etwas über zwei Jahren.

Als ich so alt war wie du, besuchte ich gerade die 4. Klasse der Grundschule. Auch wenn ich anfangs große Schwierigkeiten gehabt habe, alleine mit dem Bus zur Schule zu fahren, bin ich dennoch gerne in die Schule gegangen und habe viel Freude am Lernen gehabt. Für einige meiner Mitschüler war es oftmals sehr mühsam, ihre Hausaufgaben zu erledigen und sich auf Klassenarbeiten vorzubereiten. Mir hingegen fielen diese Dinge sehr leicht. Ich erinnere mich zum Beispiel noch daran, dass ich häufig vor den anderen mit den Klassenarbeiten fertig gewesen bin und aus Langeweile manchmal diese mit Zeichnungen verziert habe. Meine Lieblingsfächer waren damals übrigens Kunst und Sachkunde.

An den Nachmittagen habe ich mich oft mit den Mädchen aus meiner Klasse verabredet und mich mit ihnen zum Spielen getroffen. Jedoch merkte ich schon damals immer wieder, dass ich irgendwie anders war, als die anderen Kinder in meinem Alter. Vor allem als die anderen Mädchen. Diese haben sich am liebsten verkleidet und geschminkt, um anschließend in die unterschiedlichsten Rollen zu schlüpfen. Ich habe zwar meistens mitgemacht (manchmal habe ich mich auch geweigert), aber wirklich Spaß habe ich daran nicht gehabt. Hinzu kam, dass mir die Verabredungen im Nachhinein häufig zu viel wurden und ich deswegen abends oft geweint habe.

Ähnlich ging es mir bei Geburtstagsfeiern. Ich bin damals weder gerne zu Geburtstagsfeiern gegangen, noch habe ich meinen eigenen Geburtstag gerne gefeiert. Das war mir alles viel zu laut, viel zu bunt und viel zu viel Trubel.

Am wohlsten habe ich mich gefühlt, wenn ich in meinem Zimmer ganz für mich alleine sein konnte. In solchen Momenten habe ich dann gerne Hörspiele gehört, Bücher gelesen oder einfach nur etwas aus Lego gebaut.

Die mit Abstand schwierigste Zeit war - etwas später - die Zeit auf der Realschule. Dort wurde ich von meinen Mitschülern immer wieder aufgrund meiner guten Schulnoten gemobbt. Und auch sonst konnten sie nicht sonderlich viel mit mir anfangen. Auch mit meiner damaligen besten Freundin habe ich leider kaum noch etwas zu tun gehabt. Unsere Interessen haben sich immer mehr unterschieden. So kam es, dass ich die meiste Zeit alleine verbracht habe. Egal, ob in der Schule oder an den Nachmittagen zu Hause.

Das machte mich oft sehr traurig. Ich war zwar gerne mal für mich ganz alleine, aber ich war nicht gerne einsam. Deshalb habe ich mir oft gewünscht, jemand anderes zu sein. Ich konnte mich selbst einfach überhaupt nicht leiden.

Doch auch wenn es nicht immer einfach war und sein wird, irgendwie anders zu sein, habe ich mittlerweile entdeckt, dass ich nicht nur Schwächen habe, sondern mindestens genauso viele Stärken. Ich bin zum Beispiel sehr kreativ, kann gut fotografieren und habe ein gutes Erinnerungsvermögen. Ich bin mir sicher, auch du besitzt etwas, eine Eigenschaft oder eine Fähigkeit, die dich zu etwas ganz Besonderem macht.

Wichtig ist, dass du gar nicht erst versuchst, jemand anderes sein zu wollen. Denn genauso wie du bist, bist du toll!

Astrid Lindgren (die Autorin von Pipi Langstrumpf oder Michel aus Lönneberga) sagte einmal: „Lass dich nicht unterkriegen. Sei frech, wild und wunderbar."

Genau diese Worte möchte ich auch dir mit auf den Weg geben.

Nadine

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